Aphrodite Kallipygos
von Marlene Götz
Die hier präsentierte Statue einer jungen Frau hat eine sehr außergewöhnliche Haltung. Mit beiden Armen hebt sie ihr Gewand nach oben, sodass ihr Gesäß entblößt wird. Bei dem Gewand handelt es sich um einen gegürteten Chiton, welcher von der Schulter gerutscht ist. Der Oberkörper der Frau ist nach hinten gedreht, ihr Kopf blickt über die Schulter nach unten. Die Haare sind zusammengebunden und sie trägt einen Armreif am rechten Arm. Die Schönheit sowie die Entblößung charakterisieren die Frau als die Liebesgöttin Aphrodite.
Wegen ihrer außergewöhnlichen Darstellung wird sie als ‚Aphrodite Kallipygos‘ bezeichnet. Die Bezeichnung ‚Kallipygos‘ leitet sich von den altgriechischen Wörtern kalos = schön sowie pygos = Gesäß ab, also Aphrodite mit dem schönen Gesäß. Die Benennung geht auf eine Erzählung des antiken Schriftstellers Athenaios von Naukratis zurück. Dieser lebte um 200 n. Chr. Im 12. Buch seines Werks Gastmahl der Gelehrten (deipnosophistai) berichtet er von zwei Schwestern. Sie stritten sich darum, wer das schönere Gesäß habe. Als sie einen vorbeikommenden Mann dazu befragten, wählte und verliebte sich dieser in die Ältere. Sein jüngerer Bruder dagegen verliebte sich später in die jüngere Schwester. Beide Paare heirateten und als Dank für ihre reiche Ehe stifteten die Schwestern der Aphrodite Kallipygos in Syrakus einen Tempel. Diesen Tempel hat es vermutlich tatsächlich gegeben. Die Statue geht vielleicht auf das Kultbild des Tempels zurück.
Die Herkunft der Statue
Bei dem hier gezeigten Stück handelt es sich um den Abguss einer Marmorstatue, welche im 16. Jahrhundert in der Domus Aurea in Rom gefunden wurde. Heute steht sie im Archäologischen Nationalmuseum Neapel. Die Marmorstatue wurde mehrfach ergänzt, zuletzt Ende des 18. Jahrhunderts. Angefügt wurden der Kopf mit Halsausschnitt, der linke Arm mit dem Ende des Gewandes über der Schulter sowie das rechte Bein von der Wade abwärts. Diese Ergänzungen sind überzeugend. Nur das Aussehen des Kopfes sowie die Frisur sind nicht gesichert.
Bei der Marmorstatue handelt es sich um die römische Kopie eines heute nicht mehr erhaltenen griechischen Originals. Dieses wird in die Zeit um 200 v. Chr. datiert.
Der namensgebende Text
Der Name Aphrodite Kallipygos geht zurück auf einen Text des antiken Autoren Athenaios von Naukratis. Dieser berichtet in seinem Werk Gastmahl der Gelehrten, Buch XII, 80 über sie. Die deutsche Übersetzung nach dem antiken Original lautet wie folgt:
„So sehr waren die damaligen Menschen von ihren Sinneseindrücken abhängig, dass sie der Aphrodite Kallipygos (‚mit schönem Gesäß‘) einen Tempel errichteten, und zwar aus folgendem Anlass: Ein Landmann hatte zwei schöne Töchter. Diese wetteiferten einst miteinander; sie gingen auf die Straße und ließen sich beurteilen, wer von ihnen das schönere Hinterteil habe. Da kam ein junger Mann vorüber (er hatte einen alten Vater), und sie zeigten sich ihm. Er betrachtete sie und entschied sich für die Ältere. Er verliebte sich in sie, geht in die Stadt und wird krank. So erzählt er den Vorfall seinem jüngeren Bruder. Dieser geht nun seinerseits aufs Land, betrachtet sich die Mädchen und verliebt sich in die andere. Der Vater jedoch legte ihnen (seinen Söhnen) nahe, sie sollten eine angesehenere Heirat ins Auge fassen, konnte sie aber nicht überreden. So bringt er die Mädchen vom Lande zu seinen Söhnen, nachdem er von deren Vater die Zustimmung erhalten hat, und verheiratet sie mit ihnen. Die Frauen wurden nun von den Bürgern ‚schöngesäßig‘ genannt. Dies erzählt auch Kerkidas aus Megalopolis in seinen ‚Iamben‘ und sagt: „Es war ein Paar mit schönen Hinterteilen in Syrakusai.“ Diese Frauen kamen nun in den Besitz eines beträchtlichen Vermögens und errichteten der Aphrodite einen Tempel. Sie gaben der Göttin den Beinamen ‚Kallipygos‘, wie Archelaos in den ‚Iamben‘ berichtet.“
Übersetzung nach Claus Friedrich