SKULPTUR DES MONATS JANUAR 2024

von Heidjer Brandt

Die archaische Skulptur – Kuroi und Koren

Die archaische Epoche Griechenlands (700 – 480/490 v. Chr.) war historisch geprägt
durch die Kolonisationsbestrebungen der Griechen, die vermehrte Entstehung von poleis
(Stadtstaaten) sowie umfangreiche Kontakte zu den Hochkulturen des Orients.

Das Zusammenwirken dieser Einflüsse führte zu einer neuen Formensprache in der Gestaltung von Skulpturen, die sich signifikant von denen vorheriger Epochen abhebt. Sukzessive entwickelten sich neue Darstellungsformen. Das Leitbild waren die sog. Kuroi, Großplastiken nackter junger Männer und deren weibliche, stets bekleidete Pendants. Diese sog. Koren werden im Folgenden näher betrachtet.

Auffälliges Merkmal archaischer Skulpturen ist das sog. „archaische Lächeln“, das u.a. über das Zusammenspiel hochgezogener Mundwinkel und markanter Wangenknochen die Statue belebt. Im Zeitablauf zur nachfolgenden Klassischen Epoche änderte sich das Lächeln hin zu einem ernsteren, häufig etwas melancholisch wirkenden Gesichtsausdruck.

Inv.-Nr. IV 107, Sog. Kore mit den Mandelaugen

Koren wurden ab Mitte des 7. Jhs. v. Chr. zunächst als Grabstatuen aufgestellt, ab dem letzten Drittel des 6. Jhs. v. Chr. auch als Votivgabe an eine Gottheit. Die meisten der bekannten Koren sind unterlebensgroß.

An einigen Skulpturen haben sich Farbreste erhalten, so dass von einer sehr farbigen Gestaltung ausgegangen werden kann. Die Koren waren als Abbilder realer junger Mädchen gedacht. Dennoch weisen sie keine individuellen Züge im heutigen Sinne auf. Vermutlich waren es Mädchen der Gesellschaft, die bei religiösen Festen Priesterinnen unterstützten oder am Grab die Tote darstellten.

Religiöse Feste waren gesellschaftliche Ereignisse und dienten dazu, den Reichtum
einer Stadt und seiner Bewohner darzustellen. In der altgriechischen Lyrik wird in
diesem Kontext auch die Anmut der Frauen und Mädchen beschrieben. Reichtum und Schönheit sollte sich auch dort zeigen, wo es über Generationen zu sehen war: Als Statue am Grab oder am Heiligtum.


Die Kore mit den Mandelaugen

Die ausgestellte Statue ist unterlebensgroß und wird wegen der auffälligen Form der
Augen auch „Kore mit den Mandelaugen“ genannt. Datiert wird sie um ca. 500 v. Chr. Sie
wurde aus dem sog. Perserschutt der Akropolis in Athen geborgen und stand vermutlich unweit des späteren Parthenon. Das Original besteht aus Marmor.

Inv.-Nr. IV 107, Sog. Kore mit den Mandelaugen

Die Kore trägt einen Chiton, der Teile des Gesäßes und des rechten Beines betont. Darüber
liegt ein Himation mit stark ausgearbeiteten Vertikalfalten. Die Beine sind oberhalb der
Knie abgebrochen. Erkennbar ist, dass das linke Bein leicht vorgesetzt war. So entstand eine gewisse Dynamik in der gesamten Skulptur. Der rechte Arm war angewinkelt und ist im Ellenbogenbereich gebrochen. In der Hand befand sich vermutlich eine Votivgabe; die linke
Hand hielt wahrscheinlich den fächerförmig angehobenen Chiton in Hüfthöhe.

Das Oval des Gesichtes wird durch Kinn und Haar eingerahmt. Das Haar fällt nach hinten
auf den Rücken herab. Vorne liegt es mit je drei Lockenreihen an beiden Seiten vor den Schultern auf. Es wird am Kopf von einem teilweise zerbrochenen Diadem zusammengehalten. Das „archaische Lächeln“ ist nur noch leicht ausgeprägt. Ferner schmücken verzierte Scheiben die Ohren.

Auf den Ohrscheiben sind blaue und rote Farbreste nachweisbar, im Haarbereich rote und
gelbe. Am Gewand sind grüne Farbspuren zu finden sowie eine aufgemalte Mäanderborte am Mantelsaum und auf dem Diadem. Um die Anmut der Kore in Gänze zu erfassen,
kann der Betrachter in seiner Phantasie einen prachtvollen Reigentanz zu Ehren der Athena
entstehen lassen, mit vielen bunt und prachtvoll gekleideten Mädchen, mit Girlanden und
freudiger Musik. Darunter unsere Kore mit elfenbeinfarbenem Teint, farbigem Ohr- und
Haarschmuck und grünem Gewand.

Bei der hier gezeigten Statue handelt es sich nicht um einen Abguss. Aufgrund der Farbigkeit der Figur wurde die Abnahme einer Negativform am Original in Athen nicht erlaubt. Im frühen 20. Jh. entstand in der Werkstatt der dänischen Künstlerin Ingrid Kjaer diese Reproduktion, die in ihrer Genauigkeit einem Abguss aber gleichkommt.