von Thea Zhupa
Herakles Lansdowne
Unbekleidet in seiner heroischen Nacktheit steht der griechische Held Herakles fest auf
seinem rechten Bein und stellt das linke leicht zur Seite. In der herabhängenden rechten
Hand hält er ein Löwenfell, mit der linken schultert er eine Keule. Der Kopf ist leicht geneigt
und zu seiner Linken gewendet. Er blickt in die Ferne.
Keule und Löwenfell – wir erkennen Kopf, Mähne und schlaff herabhängende Tatzen des
Tieres – identifizieren ihn. Die erste seiner großen Taten führte Herakles in den Kampf gegen den Nemeischen Löwen. Das Raubtier verwüstete die Landschaft um den Ort Nemea auf der Peloponnes. Herakles als Kulturbinger tötete den Löwen und befreite die Menschen von dieser sog. Plage.
Aber der Kampf steht für mehr. Denn die Haut des Löwen galt als undurchdringbar. Herakles musste wie ein Ringkämpfer den Löwen erdrosseln. Dann erst konnte er mit dessen eigenen Krallen die Haut abziehen. Von nun an trug Herakles selbst das Löwenfell wie einen Skalp und schützte sich damit.
Die Statue zeigt Herakles nicht mit dem Löwenfell bekleidet, er hält es noch in seiner Hand.
Es ist vermutlich der Moment direkt nach dem Kampf, das Fell wurde soeben erbeutet. Der
Blick in die Ferne könnte auf seine noch folgenden Taten verweisen. Denn dieser Kampf war der erste von vielen.
Bei der Statue handelt es sich um den Abguss einer römischen Marmorstatue des 2. Jhs. n.
Chr. Sie wurde 1790 in der Villa des Kaisers Hadrian bei Tivoli gefunden. Sie gelangte 1792 in den Besitz des Marquis von Lansdowne. Da sie nur fragmentarisch erhalten war, wurde sie damals umfassend restauriert. Das Ergänzen von Statuen gehörte im 18. Jh. zum guten
Geschmack. Im 20. Jh. wurden die Ergänzungen aber wieder abgenommen. Der Abguss
entstand vor dieser ‚Ent-Restaurierung‘.
Folgende Teile der Statue sind daher modern: die Nasenspitze, der untere Teil des rechten Unterarms mit dem Handgelenk und dem rechten Daumen, der linke Arm von der Mitte des Oberarms bis zur Mitte des Unterarms und der linke kleine Finger, beide Enden der Keule, das linke Schienbein. Hinter dem Standbein wurde eine zusätzliche Stütze bis zum Gesäß hinaufreichend angebracht und durch eine moderne Verbreiterung des Löwenfells hinten überdeckt. Ursprünglich konnte man zwischen Fuß und Fell hindurchsehen.
Herakles Lansdowne und Herakles Farnese
Die römische Marmorstatue des Herakles Lansdowne ist die Kopie eines griechischen
Originals. Dieses Original existiert heute nicht mehr und war vermutlich von dem bekannten
Künstler Skopas oder einem seiner Schüler im späten 4. Jh. v. Chr. geschaffen worden.
Ältere griechische Heraklesbilder der archaischen Zeit zeigten den Helden oft bärtig und
mitten im Kampf mit den wilden Tieren oder Monstern. Hier dagegen sehen wir einen ruhig
stehenden und bartlosen Herakles. Dem Bildhauer kam es dabei vor allem auf die
Präsentation eines athletischen Körpers an, die Kennzeichen des Helden spielten dabei fast eine Nebenrolle.
Die Statue orientiert sich an Athletenbildern des 5. Jhs. v. Chr., genannt sei der berühmte Doryphoros des Polyklet (Skulptur des Monats Juli 2023). In seiner Frontalität ist der Körper des Herakles aber ganz dem Stil des 4. Jhs. v. Chr. verhaftet. Der athletische und robuste Körper des Herakles Lansdowne strahlt zusammen mit dem Blick eine positive Kraft und Ausgeglichenheit aus.
Eine ganz andere Auffassung des Helden begegnet uns im Herakles Farnese, der ebenfalls im späten 4. Jh v. Chr. entstand und dem Künstler Lysipp zugeschrieben wird. Hier stützt sich Herakles schwer lastend mit seinem äußerst muskulösen Körper auf seine Keule auf und vermittelt damit in sehr eindrücklicher Weise das Ausruhen nach großen Mühen. Dieses Ausruhen äußert sich auch in seinem Standmotiv: Das Spielbein ist leicht vor das Standbein gesetzt und somit verschiebt sich der Körperschwerpunkt aus der Achse heraus – ohne die Keule würde Herakles umfallen. Die Keule selbst ist ummantelt vom Löwenfell. Hier wirkt das Fell aber nicht wie ein neues, sondern wie ein abgelegtes Kleidungsstück. Sein freier rechter Arm führt hinter den Körper, die Hand ist verdeckt. Die Frontalität wird aufgebrochen, der Betrachter muss um die Figur herumlaufen, um zu sehen, was Herakles hier hält. Es sind die drei Äpfel der Hesperiden und damit die Früchte seiner letzten Tat.
Herakles steht damit am Ende seines mühsamen Weges. Löwenfell und Äpfel markieren Anfang und Ende. Auch die Statue des Lysipp hat sich nicht erhalten. Der Herakles Farnese – benannt nach seinen langjährigen Besitzern, der italienischen Adelsfamilie Farnese – ist eine römische Marmorkopie, die sich heute in Neapel befindet. Ein Abguss in Originalgröße befindet sich im hinteren Bereich unseres Museums.
Der Herakles Lansdowne und der Herakles Farnese zeigen sehr unterschiedliche
Auffassungen von dem Helden, obwohl ihre Originale fast in der gleichen Zeit entstanden.