Skulptur des Monats August 2023

von Leonie Boehm

Die kauernde Aphrodite

Vor sich sehen Sie die Skulptur einer unbekleideten Frau. Sie nimmt eine hockende Position ein. Durch die Wendung des Kopfes über ihre rechte Schulter neigt sich auch ihr Oberkörper nach rechts. Beide Arme sind unterhalb der Schultern abgebrochen. Durch die kauernde Haltung bilden sich mehrere Falten an ihrem Bauch. Die Knie sind angewinkelt, wobei das Linke mehr nach oben zeigt und das Rechte nach vorne ausgerichtet ist. Die linke Hälfte ihres Gesäßes ruht auf einer felsenartigen Stütze, die andere Hälfte liegt auf ihrem Hacken auf. Ihr Körpergewicht ruht dabei auf ihrem rechten Fuß, welcher nur auf dem Ballen steht. Der linke Fuß, mit dem sie das Gleichgewicht hält, ist flach auf den Boden vor ihren Körper gestellt. Mittig auf ihrem Rücken ruht eine kleine Hand. Diese gehörte wahrscheinlich Eros, Aphrodites Sohn und Gott der Liebe, der neben ihr stand.

Der Abguss zeigt eine römische Statue der kauernden Aphrodite. Diese wurde im französischen Vienne 1828 in einer antiken Thermenanlage gefunden. Seit 1878 steht sie im Louvre. Sie besteht aus Marmor und ist eine kaiserzeitliche Kopie eines verloren gegangenen griechischen Originals. Der Kopf gehört zu einer anderen römischen Statue, welche auf dasselbe Original zurück geht.

Experimentelle Rekonstruktion der Arme und des Kopfes

Das Motiv der kauernden Aphrodite ist in mehr als 25 römischen Skulpturen vertreten. Im Mittelpunkt steht immer die Göttin selbst. Doch in den zahlreichen Kopien treten dennoch viele Unterschiede auf. Dazu gehört die Neigung des Kopfes, sowie die Armhaltung und die angewinkelten Beine. Der Kopf ist nur noch an neun der Skulpturen erhalten. Bei den meisten ist ihr Haar in der Mitte gescheitelt und wird mit einem breiten Band zusammengehalten, an vielen Skulpturen trägt sie zudem einen Armreif an ihrem linken Oberarm. Dazu gibt es eine große Variation der Begleitfiguren. Oft steht neben oder hinter der Göttin Eros. Möglich sind aber auch Schwäne oder Delfine, Begleittiere der Aphrodite. Diese Figuren haben eine statische Funktion, dienen aber auch als Erkennungsmerkmal.


Der Moment des Badens

In der griechischen Kunst werden Männer, vor allem Sportler, oft unbekleidet dargestellt. Deren Nacktheit ist aber nicht in einem erotischen Sinne, sondern als Idealbild zu deuten. Weibliche Körper dagegen kommen erst ab Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. unbekleidet vor. Diese Wendung vollzog erstmals der Künstler Praxiteles. Er schuf die Aphrodite von Knidos, die ihr Gewand auf der neben ihr stehenden Hydria (Wassergefäß) ablegt und sich zum Bade vorbereitet. Das Baden wird als Akt der Körperpflege gesehen. Es ist zudem ein intimer und auch erotischer Moment. Er eignet sich gut, um die Schönheit der Aphrodite darzustellen, für die sie bekannt ist. Das Motiv der nackten Göttin gibt es nun in vielen verschiedenen Variationen.

Aphrodite von Knidos, Abguss Berlin, Inv. 85/28

Das Motiv der kauernden Aphrodite tritt erstmals ab der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. auf. Sie hockt in einem Wasserlauf. Der neben ihr stehende Eros gießt zudem Wasser über ihren Körper. In einigen Darstellungen ist sie es selbst, die das Wasser mit der rechten Hand über ihren Rücken schüttet.

In diesem intimen Moment, in dem Sie als Betrachter*in die Göttin beobachten, ist sie unbekleidet und somit auch ungeschützt. Aphrodite konzentriert sich nur auf sich und ist unaufmerksam gegenüber ihrer Umgebung. Dennoch kann man anhand der Bruchstellen ihrer ursprünglichen Armhaltung darauf schließen, dass sie in einem Schreckmoment festgehalten wurde. Ihr rechter Arm legt sich über ihre Brust und ihre linke Hand hält sie vor ihre Scham – sie scheint sich vor fremden Blicken schützen zu wollen.

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