Körperbilder zwischen Skulptur und Tanz & Über die Arbeiten von Chris Kremberg

Die Anschauung allein reicht Chris Kremberg nicht. Der Appell an die taktilen Sinne, an ein körperliches Nachspüren und Einfühlen in die Konturen des Sichtbaren verbindet die Arbeiten der jungen Künstlerin in den unterschiedlichen Medien von textilen Collagen, Skulpturen, Performance und Fotographie. An der Schnittstelle zwischen Körper und
Raum sucht sie nach Kommunikationsformen und Durchlässigkeiten zwischen und innen und außen.
Ihre Ausbildung begann 1989 in dem Jahr, als die DDR zu Ende ging, in Jena als Handweberin. 1991 wechselte sie an die Burg Giebichenstein, Halle, in Klassen für Malerei und Textil und fügte an der Hochschule der Künste in Berlin noch einen Studiengang Bühnenbild und Kostüm hinzu. Außerhalb der Hochschulen begann sie Tanzunterricht zu
nehmen und seit fünf Jahren nach Möglichkeiten zu suchen, ihre Skulpturen in Performances als Instrumente der Zeit- und Raumerkundung einzubringen.
Der Wechsel der Schulen, Städte und Medien spiegelt einen wachsenden Horizont und Ausprobierenwollen. Den Zugang zur freien Kunst & über das Handwerk schlagen viele aus Vorsicht ein und um Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen. Doch für Chris Kremberg war das nicht nur eine Abfolge, um die kunstgewerblichen Techniken zugunsten vermeintlich authentischer Formen hinter sich zu lassen. Sie sucht vielmehr nach einem Weg, die verschiedenen Stränge der Erfahrung miteinander zu verflechten.
Im Schnittpunkt ihrer unterschiedlichen Arbeitsfelder für die Bühne und in der bildenden Kunst steht der Körper. Auf ihn und seine empfindliche Hülle aus Haut weisen die „Skins“ zurück, fragile Gespinste aus Seidenwolle. Mit ihm müßig; sie sich in ihren Jobs als Kostümbildnerin am Theater auseinandersetzen. Der Körper ist der Adressat ihrer
skulpturalen Ensembles die viel weniger autonome Objekte denn Teile einer Geschichte bilden. In der jüngsten Werkgruppe der Fotografien wird der Körper selbst zu einem fremden, skulpturalen Objekt.

Die Erfahrung des Handgemachten ist bis heute als eine Basis ihrer künstlerischen Suche wirksam. 1997 entstanden die „Skins“ aus zerfledderter, löchriger Seidenwolle. Sie erinnern an organische Präparate, zerrissene Stoffe, altes Leder, Rinde, Moos, Schimmel, Spinnweben, Baumbärte und Kokons. Der Aspekt des Alters und Verfalls ist ihnen ebenso gegenwärtig wie das Zusammengesetztsein aus Verschiedenem. Ob Natur oder Kultur den Ursprung dieser Artefakte bildet, lässt sich nicht mehr sagen.
Mit einer ähnlich changierenden Haus aus Seidenpapieren und Seidenwolle sind ihre Skulpturen ummantelt. Sie erhalten dadurch eine archaisch anmutende Patina. Die Formen laufen lang und spitz zu wie Pfähle oder Speere, die nur an die Wand gelehnt Halt haben. Andere verbreitern sich zu Schalen und Bootsformen, die Bilder von Überfahrten und letzten Reisen hervorrufen.
Bei der Ausstellung in einem Kirchenraum (1997, Stiftskirche auf dem Petersberg, Halle) nahmen die Skulpturen den Charakter von rituellen oder zeremoniellen Gerät an. Sie sind Teil einer Handlung, einer Geschichte. Mehr noch wurden sie in der Zusammenarbeit mit Tänzerinnen zu Instrumenten, das Verhältnis zwischen den Menschen und dem Raum zu vermessen und zu beschreiben. Der Tanz lässt die Spannungen im Raum, zwischen Vertikale und Horizontale, zwischen Offenheit und Begrenzung, direkt durch den Körper gehen. Die Skulpturen können dabei ebenso wie die Musik der Interpretation des Raumes
eine Partitur vorgeben und zu Verdichtungen der Energiefelder und Auflockerungen inspirieren.
Für Chris Kremberg ist der Dialog zwischen ihren Skulpturen und der Bewegung noch nicht abgeschlossen und die Form zukünftiger Auseinandersetzungen noch offen. Noch für sich entdeckt hat sie die Fotografie als Mittel, die Spuren der Bewegung nachzuzeichnen und zugleich in ihrer Flüchtigkeit zu dramatisieren. Ihre Aufnahmen gehen nah an den Körper heran, lösen Fragmente aus dem Ganzen heraus und verfremden seine Formen, bis allein
Vorstellungen wie Wachsendes, Aufrechtes, sich Zusammenballendes, sich Auflösendes übrigbleiben.
Sie hat angefangen, die fotografischen Emulsionen mit dem Pinsel auf unterschiedliche Bildträger zu streichen. Die Bildschicht wird so transparent, erhält Risse und Knitter bis sie an eine empfindliche Haut selbst erinnert. Das fotografische Bild scheint nichts Festes und auf Ewigkeit Gebanntes mehr. Verwischungen, Bewegungsunschärfen und Mehrfachbelichtungen lösen die Konturen des Körpers auf. Er wird zum Schatten, zur Silhouette, zur geisterhaften Erscheinung, die ebenso aus Gas oder Wärme wie aus Fleisch und Blut bestehen könnte. Mehr als in den Werkgruppen zuvor wird in den Fotografien das Wandelbare, die Energie der Veränderung und die Bewegung selbst zum Bild.
Hinter allen Arbeiten der jungen Künstlerin spürt man ihre Unzufriedenheit mit statischen Ergebnissen und starren Präsentationsformen. Sie will den Prozess der Formfindung selbst in die Kunst einbringen; eine Sehnsucht, die nicht nur durch ihre Begeisterung für den Tanz genährt wird, sondern durch eine Opposition gegen die Trennung der Künste.
von Katrin Bettina Müller

Wann16. Januar 2002 – 3. März 2002
WoAbguss-Sammlung Antiker Plastik Berlin, 14059 Berlin
KategorieSonderausstellungen